Die Welt ist im Umbruch, aber Deutschland scheint zu schlafen. Um unser Land zukunftsfähig zu machen, sind alle gefragt. Dabei ist der Wissenstransfer zwischen Industrie, Verwaltung und Wirtschaft sowie das Aufbrechen von Silos unerlässlich.
Gemessen an den aktuellen Brennpunkten dieser Welt, die da heißen Umwelt, soziale Gerechtigkeit, Kriege, Terror und internationale Spannungsfelder, kann man sich leicht die Frage stellen, wie wichtig der Aspekt Übernahmen und Fusionen ist.
Internationale Position Deutschlands geschwächt
Sorgen bereiten die Perspektiven Deutschlands, vor dem Hintergrund eines schwachen und uneinigen Europas, bedrängt von den Übermächten Chinas und der USA. Dabei kommen die Risiken nicht nur aus dem übergroßen Druck von außen, sondern speziell auch aus innerer Schwäche. Diese ist im Besonderen gekennzeichnet durch ein Implosionsrisiko infolge von Technologiefeindlichkeit, Positionsverlusten unserer Wirtschaft, der Aufgabe ganzer High-Tech-Branchen, Verkrustungen in der Verwaltung mit Überregulierungen sowie eine Abwehrhaltung gegen die Digitalisierung. Dazu kommen Fehlsteuerungen in der Ausbildung, die weltweit höchsten Stromkosten und äußerst schwache Positionen bei der Infrastruktur für Informations- und Kommunikationstechnik. Trotz großer Worte unserer Politik verschlechtern sich unsere schwachen Positionen auch aktuell noch weiter – wenn man die Fortschritte führender Vertreter des Auslands als Benchmarks heranzieht. Stattdessen betreiben wir Nabelschau, geben uns der Larmoyanz hin.
Wirtschaft erwacht nur langsam
Spät, sehr spät, und auch nur teilweise, wacht Deutschland auf: Die Autoindustrie gibt endlich zu, dass sie auf den maßgeblichen Zukunftsgebieten den Anschluss verloren hat. Geradezu in einer Verzweiflungstat plant VW über 40 Milliarden Euro Investitionen. Daimler und BMW schließen Allianzen. VW verbündet sich mit Amazon-Web-Services und Siemens-Mindsphere zur globalen Steuerung der Fertigungssysteme.
Aber im Ganzen liegen wir noch im Schlaf. Mit einem halben Auge haben wir wahrgenommen, dass die Chinesen 300 Milliarden US-Dollar in Künstliche Intelligenz investieren. Aber wir glauben immer noch, dass wir mit den von der Bundesregierung freigegebenen 3 Milliarden Euro gegenhalten können. Selbst die EU macht dafür in toto gerade mal 20 Milliarden Euro locker.
Verwaltungen wenig smart
Die intelligente Nutzung von Daten, Dienstleistungen und Prozessen in öffentlichen Verwaltungen, auch bekannt als Smart Government, schreitet in den USA voran. Unsere kleinen Nachbarn und das Baltikum setzen darin europäische Benchmarks. Aber die Bundesregierung verabschiedet ein vergleichsweise lächerliches Programm zur Vereinfachung des sicheren Datenaustausches zwischen Behörden und Bürgern. Von Open Government und dem Once-Only-Prinzip, zu dem sich die Europäische Union schon vor vielen Jahren bekannt hat, sind wir weit entfernt.
Deutschland leistet sich teure und zeitaufwändige Verwaltungsprozesse wie wohl kaum ein anderes Land der Welt. Die Kosten dafür tragen wir alle, trägt die Wirtschaft. Exzessiver Datenschutz, Angst vor technischen Innovationen, die dies auch automatisiert sicherstellen können, verbünden sich mit der Sicherung der Pfründe, die das Leben als Verwalter und Schützer überlebter Strukturen angenehm macht.
Deutschland verkommt zum Verwalterstaat. Der Aufbau von Behördenkapazitäten schreitet weiter voran. Noch nie wurden so viele Gesetze und Vorschriften erlassen wie in den vergangenen fünf Jahren. Deutschland ist Weltmeister in der Länge von Genehmigungsprozessen. Die ganze Welt lacht über unser Berliner Flughafenprojekt, bei dem sich die öffentliche Hand die Projektführung unter die Nägel gerissen hat, um professionelle industrielle Projektführungskosten von 200 Millionen Euro einzusparen. Das hat uns nun schon Milliarden gekostet.
M&A als Beispiel komplexer Projektführung
Was hat das nun alles mit M&A, also mit Fusionen und Übernahmen, zu tun? Ich meine: Vieles. Zum Ersten ist M&A ein Beispiel komplexer und vielschichtiger Projektführung, auch „Königsdisziplin“ der Wirtschaft genannt. Die hier gesammelten Erfahrungen und genutzten Instrumente können auch für andere Bereiche in Wirtschaft und Gesellschaft hilfreich sein.
Zum Zweiten brauchen wir in Deutschland einen viel stärkeren Wissensaustausch zwischen Industrie, Verwaltung und Wissenschaft. Wir können uns die Silostrukturen nicht mehr leisten. Die USA sind hier ein gutes Beispiel. Die Industrie ist in der Regel Vorreiter und kann die Verwaltung inspirieren. Umgekehrt sind Kenntnisse aus der öffentlichen Verwaltung und die Lösung der dortigen Probleme auch für die Industrie wichtig. Zum Dritten: wir brauchen mehr Menschen, die über den Zaun ins Ausland sehen, anstatt Nabelschau zu betreiben, die uns schon viele Fehlentscheidungen gekostet hat.
Jeder ist gefragt
Deshalb möchte ich besonders die Akteure der Wirtschaft ermuntern, ihre Stimme zu erheben! Der gesellschaftliche Wandel, der mit der allumfassenden Digitalisierung einhergeht, erfordert unser aller Einsatz. Wo es möglich ist, sollten Unternehmerinnen und Unternehmer entsprechende Digitalisierungsprojekte und Arbeitskreise initiieren oder an solchen teilnehmen. Auch mit kleinen Schritten können wir über die Zukunftsfähigkeit unseres Landes entscheiden.
Dieser Artikel ist zuerst in der Welt im Juni 2019 erschienen.